Wieder Großfamilie in Deutschland?
Immer mehr Leute bevorzugen mit ihren geliebten Hunden, als mit der Familie zu leben? Werden die Alten in Pflegeheime abgeschoben, damit man sich selbst in die Häuser und Wohnungen der alten Eltern einquartieren kann? Viele Menschen in Deutschland leben in einer Kleinfamilie oder Singlehaushalt und sind unglücklich damit. Fast die Hälfte wünscht sich ein Leben mit allen Generationen unter einem Dach. Vater, Mutter, Kinder, Oma, Opa alle sollen zusammen leben: Diese Wohnform ist in Deutschland seit vielen Jahren ungewöhnlich, für viele Deutsche aber stellt dies ein großer Wunsch dar. Dies zeigen Zahlen des Meinungsforschungsinstituts YouGov, die 2.000 Bundesbürger dazu befragt haben. Demnach würden 44 Prozent gern mit mehreren Generationen zusammenleben und stehen befragten 46 Prozent gegenüber, die sich ein solches Leben nicht vorstellen können.
Kleinfamilie im Trend
Statistisch gesehen ist die Großfamilie ein Leben gegen den Trend. Vor allem in großen Städten dominieren Single- und Zwei-Personen-Haushalte sowie die Kleinfamilie. „Mehrgenerationenhaushalte werden insgesamt immer seltener“, sagte Dieter Sarreither, Präsident des Statistischen Bundesamts. Statistiken seiner Forscher zufolge ist die Zahl der Haushalte mit drei oder mehr Generationen zwischen 1996 und 2015 um 40,5 Prozent zurückgegangen. Und laut YouGov leben nur elf Prozent bereits mit Nachwuchs und eigenen Eltern zusammen, nur zwei Prozent planen dies.
Trendforscher Peter Wippermann wundert das nicht. „Bisher ging die Singularisierung der Gesellschaft immer weiter“, sagte er. „Die Generation der jetzt 30- bis 35-Jährigen ist eher egozentrisch orientiert, die hält sich alles offen.“ Und er bezweifelt auch, dass die 50-plus-Generation wieder mit ihren Kindern zusammenleben will. „Die arbeiten, trennen sich oder suchen gerade wieder neue Beziehungen“, sagte Wippermann. „Dann ist man weniger allein.“
Sehnsucht nach mehr Gemeinschaft
Soziologen wie die Stuttgarter Forscherin Christine Hannemann sehen für die Zukunft jedoch mehr Gemeinschaftlichkeit und eine größere Vielfalt beim Wohnen. Eher als die klassische Großfamilie entstünden dabei aber Wahlverwandtschaften, wenn sich zum Beispiel Jung und Alt freiwillig in Mehrgenerationenhäusern oder -siedlungen zusammenschlössen - mit einem festen Konzept zu gegenseitiger Hilfe. „Es ist die 68er-Generation, die jetzt alt wird“, erläuterte die Soziologin. Die habe schon immer offenere Lebensmodelle gepflegt. Und sie mache sich früher Gedanken, wie sie mit 80 leben wolle.
Für drei Viertel der von YouGov Befragten liegen die Vorteile des Zusammenlebens denn auch auf der Hand. So lasse sich durch einen Mehrgenerationenhaushalt Geld sparen, zum Beispiel bei der Miete. Die Kinderbetreuung sehen sogar 80 Prozent leichter geregelt. Auch die Großelterngeneration sieht eine deutliche Mehrheit besser versorgt (74 Prozent). Positiv wird die Wohnform auch eingeschätzt, weil sich die Familie gegenseitig besser unterstützen kann und „man weniger allein ist“.
Ähnlicher Geschmack,ähnliche Toleranz
Auf der anderen Seite fürchtet eine Mehrheit, zu wenig Privatsphäre zu haben oder keinen geeigneten Wohnraum zu finden - für die meisten scheitert der Wunsch also bereits an den bestehenden Realitäten des deutschen Immobilienmarkts. Zudem sind viele davon überzeugt, dass es zu mehr Konflikten kommen wird und man sich schneller auf die Nerven geht, wenn man im Großfamilienverbund zusammenlebt.
„Der Kontakt zwischen den Generationen wird immer besser“, berichtete dagegen die Soziologin Michaela Kreyenfeld von der Berliner Hertie School of Governance. Es geht nicht nur um Kleidung oder Musikgeschmack, auch um eine offenere Einstellung zur heutigen Vielfalt an Lebensstilen - und für ein eher ungewöhnliches deutsches Lebensmodell.